Suizid · Das Trauma der Hinterbliebenen · Erfahrungen und Auswege by Otzelberger Manfred

Suizid · Das Trauma der Hinterbliebenen · Erfahrungen und Auswege by Otzelberger Manfred

Autor:Otzelberger, Manfred [Otzelberger, Manfred]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch-Trauer
ISBN: 9783423362580
Herausgeber: Deutscher Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2002-01-02T00:00:00+00:00


Suizid im Freundeskreis

»Mein Freund Peter Möller* wollte eine schöne Leiche sein, er hat es geschafft«, sagt Jürgen Wieser*. Sechs Jahre danach kann der 44jährige Krankenhausmanager nüchtern über seine und die Geschichte seines Freundes sprechen. Peter Möller hatte Aids. Er hat nach dem Ausbruch der Krankheit einen besonderen Weg gewählt: den wohlüberlegten Suizid in Anwesenheit der Freunde.

Für Jürgen Wieser war es ein klassischer Bilanzsuizid, den er auch bei anderen gut nachvollziehen kann. »Jeder definiert den Wert seines Lebens über bestimmte Dinge, die in der Summe die Lebensqualität ausmachen. Viele Aidskranke haben Angst vor dem Siechen, daran ändern auch medizinische Fortschritte nichts. Nur bei der Hälfte schlägt die Therapie an, nach zwei Jahren sind es nur noch 25 Prozent. Die Nebenwirkungen der Medikamente sind zudem enorm. Viele ertragen den täglichen Blick in den Spiegel nicht. Viele haben zu Hause einen tödlichen Pillencocktail, der sie beruhigt: Ich muß das nicht durchstehen, ich kann jederzeit durch einen Notausgang gehen.«

Auch bei seinem Freund kam der Suizid keineswegs überraschend, erzählt sein ehemaliger Liebhaber, der schon viele Menschen sterben sah. »Wir haben offen darüber gesprochen, er hatte einen Horror vor den Schläuchen auf der Intensivstation. Ich mußte ihm versprechen, ihn nicht gegen seinen Willen ins Krankenhaus einzuliefern und notfalls seinen Sterbeprozeß zu beschleunigen, wenn er es wirklich will. Ein Arzt sollte ihm ein schmerzloses Hinüberschlafen ermöglichen.«

Eine humane Aussicht auf den Tod, aber Peter Möller probierte es in seiner Verzweiflung erst einmal auf eigene Faust, erinnert sich sein Freund: »Eines Tages hatte er alle Pillen geschluckt, die er fand. Als er im Krankenhaus aus dem Koma erwachte, war er erst einmal stinkig: ›Warum holt ihr mich zurück?‹ « Peter wollte tot sein, gerade weil er eine ungeheure Lebensenergie hatte und mit seiner zunehmenden Begrenzung nicht leben konnte. Mit 34 Jahren war er Frührentner. Er hatte Kaposi-Karzinome in der Lunge, erblindete und wollte die Spritzen in die Augen, die er bekam, nicht mehr. Völlig ›gaga‹ zu enden, war für ihn der Horror.«

Jürgen Wieser erneuerte die alte Abmachung mit seinem Freund. Wenn schon Suizid, dann richtig und in einem würdigen Rahmen, in dem man sich verabschieden kann. Aber was heißt Abschied? Für ihn hat es vorher schon viele Abschiede gegeben: vom Sexpartner, vom komischen Unterhalter, vom brillianten Gesprächspartner, vom Mann, mit dem man stundenlang Spazierengehen konnte. Peter Möller hatte längst seine Medikamente abgesetzt und konnte trotzdem nicht sterben. Entkräftet versuchte er es noch ein zweites Mal ohne seinen Freund, diesmal mit Hilfe eines Anästhesisten. Auch dieser Versuch scheiterte. Nach diesem Suizidversuch litt er unter dem Tunnelsyndrom. Er war zwar wach, aber nicht mehr bewußt da.

Als sich sein Bewußtsein wieder aufklarte, kam es zum dritten Versuch, diesmal unter Jürgen Wiesers Regie und mit Hilfe eines Arztes, der die ganze Vorgeschichte kannte. Es war ein sanfter Tod im Kreis der Freunde, die lernen mußten, loszulassen. Sie hatten Respekt vor der Entscheidung.

Der aktiven Sterbehilfe, die in Deutschland verboten ist, hatte sich keiner schuldig gemacht. Peter Möller mußte selbst den Hebel umlegen, dann lief nicht die normale Infusion in seinen Körper, sondern die, die ihn einschlafen ließ.



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